Vorangestellt ist zu sagen, dass wir bei den Mittelalterveranstaltungen Spaß haben wollen. Die ewigen Besserwisser mit ihrem "Authentisch" nerven nur und haben zudem meist zuwenig Ahnung. Baumwolle wurde zum Beispiel seit dem frühen Byzantinischen Reich bis Mitteleuropa verkauft (wenn auch teuer) und die oft verteufelten Trinkhörner sind auf dem Teppich von Bayeux in der dritten Szene zu bewundern ...
Wer es authentisch haben möchte kann sich ja bei Reenactment
engagieren!
Während die Mittelalterfeste dafür gedacht sind, den Besuchern ein fröhliches und auch geschöntes Bild des Mittelalters zu bieten, ist Reenactment zutiefst mit der Geschichtswissenschaft verbunden. Reenactment-Veranstaltungen haben deshalb auch meist einen wissenschaftlichen Hintergrund und helfen bei der Erforschung historischer Hintergründe und Abläufe.

Das 'Authentisch-Syndrom' bzw. der 'Authentikomplex'

-ist eine eng mit dem Tourette-Syndrom verwandte Erkrankung, die vorzugsweise in der Mittelalter-Szene auftritt. (*)

Symptome:

Die dem Tourette-Syndrom entsprechenden Tics äußern sich durch plötzliche Handbewegungen welche die Betroffenen auf andere Personen bzw. Kleidungs- und Ausrüstungsgegenstände zeigen lässt. Damit einher gehen meist verbale Äußerungen, wie "das ist nicht authentisch", sowie abwertende Bemerkungen über den Gegenstand und/oder die entsprechende Person. Weiters neigen solcherart erkrankte Personen dazu, sich lautstark an umgebende Personen zu wenden, um diesen ihre Empfindungen zu Gehör zu bringen.

Teppich von Bayeux, Szene 3: Trinkgelage in Harolds Landhaus zu Bosham.

Dieser mittelalterliche Holzschnitt zeigt das Missverständnis vom Schafe tragenden Baum.

Die Diagnose des Authentisch-Syndroms wird rein anhand der beobachteten Symptome und des bisherigen Krankheitsverlaufs gestellt. Es existieren keine neurologischen oder psychologischen Verfahren, die eine Diagnose des Authentisch-Syndroms leisten können. Eine Heilbarkeit ist derzeit wissenschaftlich sehr umstritten.

Manche Betroffene können die spontan auftretenden Tics in einem gewissen Maße kontrollieren. Betroffene zeigen außerdem eine gewöhnliche Normalverteilung bezüglich ihrer  Intelligenz: Personen können also völlig unabhängig von ihrer Intelligenz erkranken. Problematisch kann eine betroffene Person für die Umwelt vor allem dann werden, wenn sie mit einem gewissen Maß an Sturheit und oft auch Präpotenz ihre Erkrankung einsetzt, um dadurch eine erhöhte Aufmerksamkeit zu erlangen.

Reaktionsmöglichkeiten:

  • Eine Möglichkeit besteht darin, die erkrankte Person zu ignorieren. Dies hat jedoch meist zur Folge, dass die Erkrankten ihre Opfer nur noch umso hartnäckiger Verfolgen und mit ihren 'Hinweisen' und 'Erkenntnissen' belästigen.

 

  • Eine weitere Möglichkeit besteht darin, die erkrankte Person dadurch zu beruhigen, dass mit dieser über die vermeintlichen Fehler wohlwollend diskutiert wird. Der Nachteil bei dieser Methode ist, dass ihnen oft ein trügerisches Gefühl der Richtigkeit ihrer Handlungen gegeben wird. Die führt dann oft zu einer Eskalation, da die Erkrankten dies als Aufforderung verstehen, noch mehr als 'unauthentisch' zu bezeichnen und abzuwerten.

  • Es gibt aber auch die Methode, die erkrankten auf eigene unauthentische Ausrüstungen hinzuweisen. Dies sind z.B. schwarze Lederteile, da Leder im Mittelalter noch nicht schwarz gefärbt werden konnte oder besondere Verarbeitungsmerkmale wie eine Maschinennaht oder mit Kunststoff besohlte Schuhe. Zur Not kann man immer noch auf die Verarbeitung des benutzten Stoffes hinweisen, da heutige Stoffe viel feiner gewebt sind, als dies im Mittelalter möglich war.

 

Therapie:

Heilende Therapien sind zur Zeit noch keine bekannt. Psychosoziale Beratungen können die Symptome lindern, da die Erkrankten danach teilweise bereit sind, ihre Verhaltensweisen von der Öffentlichkeit in den Privatbereich zu verlagern. Alternativ gibt es Entspannungsverfahren und verschiedene verhaltenstherapeutische Ansätze, die den Umgang mit Stresssituationen, die zu einer Verstärkung der Tics führen, lehren können. Durch Selbstkontrolltrainings können teilweise sozial unangenehme Tics durch einen sozial eher akzeptierten Tic ersetzt werden.

Positive Ergebnisse bei der Sublimierung von Tics sind auch aus der Musiktherapie bekannt. Für die rasche Anwendung, wie sie bei einem Mittelalter-Event von Nöten ist, empfiehlt sich der Besuch einer Musikgruppe, vorzugsweise auf einer Bühne. Bei privat musizierenden Teilnehmern besteht wieder die Gefahr eines 'Authentisch-Anfalles'.

In dem besonders unangenehmen Fall, dass die Erkrankten durch besonders auffälliges und lautstarkes Auftreten alle Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen versuchen, oder durch besonders präpotentes Verhalten, bei dem sie mit krankhafter Sturheit ihre Argumente als wissenschaftlich fundiert hinzustellen versuchen, kann es sich als besonders Wirksam erweisen, diese Personen für einige Zeit an den Pranger zu stellen.
Der Pranger wurde im Mittelalter ganz besonders auch für streitsüchtige Personen und für solche, die ihre Mitmenschen mit ihren singulären Ansichten belästigen verwendet. Er ist daher in solch einer Situation absolut authentisch.

Maximilian Likar

* Dieser Artikel behandelt keine reale Erkrankung sondern ist eine satirische Aufbereitung der Unsitte von manchen Personen, andere mit ihrem vermeintlichen Wissen zu belästigen.

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